26 Jul Die Wertstromanalyse wird digitalisiert
Seit über 40 Jahren läuft sie gleich ab: Ein externer Dienstleister oder ein interner Planungsingenieur schreitet mit Klemmbrett und Stoppuhr sämtliche Stationen der Produktion ab, befragt Mitarbeitende und misst, wie lange welcher Arbeitsschritt dauert. Aus diesen Notizen entsteht dann von Hand eine Gesamtübersicht, die das Zusammenspiel aller Produktionsprozesse auf einem DIN-A3-Blatt darstellt. Denn erst wenn der Ist-Zustand der Produktion bis ins Detail bekannt ist, offenbart sich, an welchen Stellen die Prozesse optimiert werden können.
Die klassische Wertstromanalyse wirkt damit wie ein Relikt aus längst vergangenen Tagen. Doch nun entwickelt ein Forschungsteam vom Fraunhofer-Institut für Produktionstechnik und Automatisierung IPA zusammen mit iFakt eine Software, die künftig sämtliche Produktionsdaten automatisiert und echtzeitnah abfragen und übersichtlich darstellen soll.
Software wertet Produktions-, Maschinen- und Sensordaten aus
Das Sammeln der Daten und das Anfertigen der Gesamtübersicht könnte schon bald sehr viel weniger Zeit verschlingen. Denn ein Forschungsteam um Böhm arbeitet zusammen mit dem Softwareanbieter iFakt an einer Software, die künftig sämtliche Produktionsdaten automatisiert und nahezu in Echtzeit aus dem Enterprise-Resource-Planning-System (ERP-System) und anderen verfügbaren Datenquellen abfragen und übersichtlich darstellen soll.
Allerdings sind Datenbanken wie das ERP-System in der Praxis oft ungenau oder unvollständig. Deshalb werten die Forschenden zusätzlich auch Maschinendaten aus – und müssen sich dabei mit heterogenen Schnittstellen befassen: inkompatible Hardware, herstellerspezifische Programmiersprachen, unterschiedliche Dateiformate. In vielen Fällen sind die Maschinen auch so aufgebaut, dass nur der Hersteller Zugriff auf die Daten hat. So müssen sie sich auf anderem Wege beschaffen: über Sensoren. Das Forschungsteam führt beispielsweise Ortungssensoren an Kleinladungsträgern mit und kann dann in Echtzeit mitverfolgen, welche Stationen ein Kundenauftrag in der Montage durchläuft und wie lange er dort bearbeitet wird.
Apps veranschaulichen die Erkenntnisse
Alle Vorkommnisse, die sich ereignen während ein Auftrag bearbeitet wird, sind in der digitalen Wertstromanalyse als Datenpunkte repräsentiert. Aus diesen Datenpunkten berechnen Apps Kennzahlen. Fällt beispielsweise bei einem Prozessschritt eine Maschine aus, so machen diese Apps nicht nur Angaben über den genauen Zeitpunkt und die Dauer der Störung, sondern liefern auch Informationen etwa darüber, wie häufig die betroffene Maschine ausfällt oder zu welchem prozentualen Anteil der Prozess fehlerfrei abläuft. Diese Angaben veranschaulichen die Apps in Form von Tabellen und Diagrammen.
Es bleibt aber erstmal Aufgabe eines professionellen Produktionsplaners, die Wertstromanalyse zu interpretieren und geeignete Maßnahmen abzuleiten, erklären die Wissenschaftler. Die Apps machen bisher keine Vorschläge. Langfristig könnte die Optimierung der Produktionsprozesse aber auch automatisch von einer Software veranlasst werden.
Momentan baut das Forschungsteam zusammen mit Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern von der ESB Business School an der Hochschule Reutlingen einen Demonstrator, um die digitale Wertstromanalyse auf Messen anschaulich präsentieren zu können. Gleichzeitig steht die Software Unternehmen zur Verfügung, die ihre Wertstromanalyse mit digitalen Hilfsmitteln standardisieren möchten.
Forschungsprojekt Ecowert
Das Forschungsprojekt ‚Echtzeitorientierte Wertstromanalyse für die nachhaltige Produktionsoptimierung‘ (Ecowert) ist auf ein Jahr angelegt und läuft noch bis 31. August 2022. Das Ministerium für Wirtschaft, Arbeit und Tourismus Baden-Württemberg fördert das Projekt mit insgesamt rund 300000 Euro aus Mitteln des Förderprogramms Invest BW.
Quelle: www.ipa.fraunhofer.de
Bild: Rainer Bez, Heike Quosdorf
Kooperationspartner: www.ifakt.de